Claudia Starke/Thomas Hess/Nadja Belviso
Das PatchworkBuch. Wie zwei Familien zusammenwachsen
345 Seiten, broschiert
€ 16,95 D/23,90 CHF
ISBN 978-3-407-85839-9
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DAS PATCHWORK BUCH für Betroffene

Claudia Starke/Thomas Hess/Nadja Belviso

Als Patchwork-Familie zusammenwachsen

Familienglück oder Chaos pur? Wer Patchwork lebt, muss viele Klippen meistern. Anhand der Geschichte einer Patchwork-Familie bieten »Das PatchworkBuch« Erklärungen für häufige Konflikte sowie Rat und Lösungswege aus therapeutischer Sicht. Immer können die Leser nachvollziehen, was sie in ihrer Patchwork-Situation gerade richtig oder falsch machen.

Zunehmend leben Menschen in nicht herkömmlichen Familienstrukturen. In jahrelanger Arbeit mit Patchwork-Familien und mit getrennt lebenden Elternteilen haben die beiden Therapeuten Claudia Starke und Thomas Hess einige Fallen und Muster erkennen können, die immer wieder auftreten und zum Scheitern führen. Die wichtigste Voraussetzung für das Gelingen einer Patchwork-Familie ist die Befähigung der Beteiligten, sich in den anderen hineinzuversetzen, und zu erkennen, dass eine Patchwork-Familie grundsätzlich anders konstituiert ist als eine traditionelle Kernfamilie.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile:

Der erste Teil ist eine Geschichte einer Patchworkfamilie, erzählt aus der Perspektive von vier beteiligten Erwachsenen: Mit ihren drei Kindern aus erster Ehe träumen Lars und Beate davon, eine neue Familie zu gründen. Aber neben den Nachwirkungen der eigenen Trennungsgeschichte sind da noch viele andere, die bei der Planung des neuen Familienglücks mitreden wollen. Das Buch schildert typische Fallen und Stolpersteine, die schließlich dazu führen, dass diese Patchwork-Familie scheitert. An Schlüsselstellen der Geschichte sind kurze Alternativgeschichten eingefügt, in denen die Beteiligten sich anders verhalten und es so zu besseren Lösungen kommt.

Im zweiten Teil des Buchs werden weiterführende Informationen und therapeutische Erkenntnisse über Patchwork-Familien angeboten. Hier wird psychologisches, beziehungsdynamisches und soziologisches Hintergrundwissen zur Verfügung gestellt und verschiedene Problembereiche einer Patchwork-Konstellation erörtert. Jedes Kapitel wird mit konkreten Empfehlungen abgeschlossen.

Leseprobe (Seiten 54 - 57)

Lars
Ein paar Tage später

Als ich sie zum ersten Mal sehe, bin ich dabei, Blumentöpfe zu stapeln. Meine Nase läuft, und bei jedem 10er-Stapel, den ich beiseite stelle, denke ich: Jetzt nehm‘ ich ein Taschentuch. Stattdessen greifen meine Hände nach dem nächsten Blumentopf. Es ist also nicht der ideale Moment, um ein Wesen auf sich zu schweben zu sehen, dessen Anblick einen Tilt im Kopf auslöst, der für einen Moment alle Funktionen lahmlegt. Als mein Gehirnwieder anspringt, spielt es dieselbe Szene in Endlosschlaufe ab, aber dieses Mal ohne Kleider. Nackte Frau im Gewächshaus. Wow. 

„Ich bin Beate, die neue Mitarbeiterin“, sagt sie und unterbricht endlich meinen ausser Kontrolle geratenen Gedankenstrom.

Ich will mit dem Handrücken den Tropfen von meiner Nasenspitze wischen bevor mir einfällt, dass sie kaum eine Hand ergreifen wollen würde, an der ein Rotztropfen klebt. Es bleibt mir nur, den selbstbewussten Naturburschen zu spielen, der seine triefende Nase stolz in die Höhe reckt, als sei sie ein Merkmal besonders ausgeprägter Männlichkeit.

Es ist nicht so, dass ich einer Frau gleich bei der ersten Begegnung verfalle und sie im Sturm erobern will. Aber Frauen, die ich nackt sehen möchte, sollen sich bei meinem Anblick zumindest nicht wünschen, ich würde mir einen Blumentopf über den Kopf stülpen. Ehe ich mir weiter Gedanken über meinen Auftritt machen kann, sehe ich ihren Hintern davon schaukeln. Ich verbiete mir weitere kleiderlose Fantasien und krame endlich ein Taschentuch aus meiner Hosentasche.

Ich habe mir vorgenommen, mich nicht allzu sehr für Frauen zu interessieren. Das war nachdem Maria die Koffer gepackt und mir erklärt hatte, ich hätte so viel Feingefühl wie ein Holzfäller beim Bonsai-Schneiden. Obwohl der Vergleich etwas holprig war, fand ich ihre Bemühung, ein Sinnbild aus meiner Lebenswelt zu finden so süss, dass ich ihr die Koffer am liebsten aus der Hand genommen und sie zurück in die Wohnung geführt hätte. Ich tat es aber nicht. Ich meine, ich wusste ja, dass unsere Beziehung am Ende war, auch wenn in der Liste meiner Gründe mangelndes Feingefühl nicht aufgeführt war. So viel zu Maria. Die Geschichte bestätigte nur, was ich mit Siegrid bereits erkannt hatte: Man konnte sich den Arsch aufreissen wie man wollte, eine Frau wäre nie zufrieden. Als ich mich wieder meinen Blumentöpfen zuwende, lasse ich deshalb nur noch einen einzigen Gedanken an Beate zu: dass selbst ein so freundliches, wenn auch etwas traurig dreinblickendes Gesicht wohl kaum mehr als ein nimmersattes, mäkelndes Geschöpf tarnen kann.

Kaum lege ich mich am Abend ins Bett, sehe ich ihr Gesicht wieder vor mir. Kein Wunder, setze ich meinem Ärger über mich selbst entgegen, ist ja auch sonst nicht viel gelaufen heute. Wie übrigens auch gestern nicht. Und vorgestern. Wie ich so liege und nach Themen suche, die spannender sind als Beates Gesicht, merke ich, dass da nichts in meinem Leben ist, das einen Gedanken vor dem Einschlafen wert wäre. Nicht, dass mir mein Sohn nichts bedeuten würde. Aber das letzte Mal, dass ich Timo sah, ist acht Tage her. Die gemeinsame Radtour vom vorletzten Wochenende habe ich bereits sieben Mal als Einschlafhilfe bemüht. Langsam ist die Sache verbraucht. Wäre ich die Hauptfigur eines Romans, würde ich jetzt beschliessen, mein Leben zu ändern, würde die Decke mit einer grossen Geste zurückschlagen, eine Lederhose über meine Boxershorts ziehen, mich auf mein Motorrad setzen und in die Nacht hinaus brausen. Ich würde die Stadt und mein bisheriges Leben hinter mir lassen und mich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, während ich immer weiter Richtung Osten führe. Meinem Sohn würde ich Postkarten aus Polen, der Ukraine, aus Kasachstan und der Mongolei schicken und ihm versprechen, dass ich ihn mitnehmen würde, sobald er alt genug wäre. Ich besitze kein Motorrad. Ich kann noch nicht mal ein Motorrad fahren. Und dann trage ich auch noch einen Pyjama. Plötzlich fühle ich mich ziemlich unmännlich. Deshalb empfinde ich es am Ende doch als tröstlich, dass da wenigstens eine Frau ist, die mir nicht aus dem Kopf will. Und dass, wenn ich ehrlich bin, auch nicht nur ihr Gesicht in meinem Gedächtnis haften geblieben ist.

Es scheint ein Trugschluss gewesen zu sein, dass Beate nur als Phantasieobjekt taugt, das dem Realitätscheck niemals standhalten würde und es sich deshalb gar nicht erst lohnt, ihn durchzuführen. Sie lacht über meine Witze. Sie bedankt sich, wenn ich ihr die schweren Säcke mit der Blumenerde trage. Sie hört mir zu, wenn ich von meinen Radtouren erzähle. Und sie hat mich gefragt, ob wir zusammen Mittagessen gehen. Sie. Mich.

Es gibt zwei Dinge, die mich dabei irritieren. Erstens: Ich beginne zu glauben, dass Beate vielleicht anders sein könnte als andere Frauen und frage mich, wie ich so naiv sein kann, diesen Gedanken überhaupt zuzulassen. Mir ist klar, dass meine bisherigen zwei ernsthaften Beziehungen statistisch nicht relevant sind. Um eine Aussage über die Frau an sich machen zu können, müsste ich mit 1000 zufällig ausgewählten zusammen gewesen sein. Natürlich wähle ich meine Frauen nicht zufällig aus. Und dass es nicht 1000 waren, kann sich jeder denken, der weiss, dass ich im Pyjama schlafe und nicht in der Lage bin, ein Motorrad zu lenken. Trotzdem: zwei von zwei, die mit mir überhaupt nicht zufrieden waren, ist eine Quote von 100 Prozent. Und würde der Mensch nur aus statistisch relevanten Erfahrungen lernen, würde er überhaupt nie etwas lernen.

Zweitens: Es passiert mir immer öfter, dass ich mir vorstelle, ich könnte mich durch ihre Augen sehen und erstaunlicherweise sehe ich einen recht charmanten, zuvorkommenden Typen mit Feingefühl. Viel Feingefühl. Hörst Du Maria? Es ist, als hätte Beate mir die ganzen hässlichen Kleider vom Leib gerissen, das Pyjama der Unmännlichkeit, die Brille der Vorurteile, die Jacke des Griesgrams usw. usw. Poesie steht mir offensichtlich nicht allzu gut. Trotzdem: Was zum Vorschein kommt, ist nett anzuschauen. Ich stelle fest, dass ich beginne mir zu wünschen, ich könnte meine neu entdeckten Eigenschaften an jemandem ausprobieren. An Beate ausprobieren, um die Wahrheit zu sagen.